Die wundervollen Trompetenblüten der Trichternarzisse sind wie ein Versprechen von Mond und Sternen, auch in der kommenden Nacht wieder ihre Bahn über der Erde zu ziehen. Sie öffnen sich schon am späten Nachmittag, doch ihren betörenden Duft verströmen die Blüten erst wenn die Dunkelheit einsetzt. Mit dem ersten Morgenlicht verblüht der Blütenzauber der Nacht.

Als hochwirksame Giftpflanze war die Dünen-Trichternarzisse nie Bestandteil der Volksmedizin, ihr Gebrauch war den Ärzten vorbehalten. Tatsächlich sind es auch fast durchweg schwere Krankheitsbilder, die mit dieser Heilpflanze behandelt werden. Die herausragende Bedeutung der Dünen-Trichternarzisse als Heilpflanze der Antike liegt vermutlich in ihrer erheblichen Wirkung gegen den Parasiten Plasmodium falciparum, Erreger der Malaria tropica als schwerster Verlaufsform der Malaria, begründet. In der Antike hatte sich die Malaria rund um das Mittelmeer verbreitet, der große Arzt Hippokrates von Kos (um 460 – 370 v. Chr.) erkannte auch den Zusammenhang zwischen Malariaerkrankungen und Sumpfgebieten – mangels technischer Möglichkeiten verbesserte sich damit die Situation aber auch nicht.

Ungiftig, aber durch und durch berührend ist dagegen der in tiefen Nächten genossene Blütenduft. In Verbindung mit dem beständigen Meeresrauschen wirkt die weiße Blüte wie ein energetischer Wirbel, der Zeit und Raum verschwimmen lässt. Es ist eine gewaltige Erfahrung, sich in einer Meditation über die Nacht und den Lauf der Gezeiten ihrem beinahe schon narkotisierenden Duft hinzugeben. Welche Zeilen würden sich wohl besser als Meditationsgrundlage eignen als die Gedanken der großen Sappho an die Nacht:

Untergegangen ist die Mondin
Und die Pleiaden. Mitternacht ist
und vorüber geht die Zeit.

aus: Heilpflanzen am Mittelmeer, Astrid Süßmuth
        Freya Verlag, 2017