In die Wunderwelt Venedigs einzutauchen ist jedesmal auf ein Neues faszinierend, immer wieder eröffnet sich eine neue Facette der Lagunenstadt. Diesmal war es der Zauber der venezianischen Blüten, der sich zwischen Meer und Palazzi entsponnen hat: Venezianisches Hundsgift und Oleander scheinen dabei die Rahmenhandlung der surrealen Kunst im Peggy-Guggenheim-Museum zu bilden.

So klar sich Venedig als steingewordene, weltliche Kaufmannsmacht (in seiner Vergangenheit, wie auch heute durch das Tourismusgeschäft) zeigt, hat es doch auch eine starke spirituelle, mystische Seite. Verborgen, nicht auf den ersten Blick sichtbar – aber für offene Augen und wache Antennen zu finden. Ein besonderer Zauber, der nicht immer und in Gänze offensichtlich ist, sondern sich erst nach und nach facettenweise entblättert. So wie Venedig auf den ersten Blick nur Mauern, Stein und Meer zu sein scheint – und doch berühmt ist für seine verborgenen Gärten.

Eine für mich ganz neue botanische Entdeckung war für mich in diesem Jahr das Venezianische Hundsgift (Apocynum venetum), scheinbar eine ganz zarte Küstenpflanze, die im Frühsommer die Dünenabschnitte der Venezianischen Inseln von Torcello über La Certosa bis nach Pellestrina dominiert. Doch der erste Eindruck der feinen, zartrosa Blüten täuscht: Das Venezianische Hundsgift ist starr und zäh im Wuchs, und dabei zudem tödlich giftig. Von den Ärzten der Antike wurde es (mit Bedacht!) als hochwirksames Heilmittel bei Wassersucht und Bluthochdruck eingesetzt, eine inzwischen vielfach belegte Heilwirkung (u.a. Lau et al., 2012). Wesentlich bedeutsamer war einst aber seine Verwendung als Faserpflanze, wofür die zähen, rötlich überlaufenen Stängel im Herbst gesammelt werden. Verarbeitet ergibt das Venezianische Hundsgift ein einzigartiges Gewebe von herausragender Weichheit und Formbarkeit mit dem Glanz von Seide. Völlig ungiftig, natürlich, aber heute fast vergessen. Ganz neu entdeckt wurde dagegen die stark angstlösende und antidepressive Wirkung der Pflanze (Wu et al., 2018) in pharmakologischer Zubereitung.

Nicht neu, aber in diesem Jahr besonders auffallend zeigte sich der im Stadtbild Venedigs omnipräsente Oleander. Leuchtend scharlachrot, mit faszinierenden Spiralblüten, die wirken als würden sie jederzeit beginnen sich zu drehen.  Die Spirale erscheint hier als Sinnbild des Lebens und der Sonne in dieser auch wieder hochgiftigen wie ebenso hochwirksamen Herz-Heilpflanze. In der Antike stand der Oleander oft am Rande geweihter Gewässer, und damals wie heute galt er als florales Schutzelement gegen die Dunkelheit und vor allem in der jungen Erwachsenenzeit zum Schutz gegen alle Anfeindungen von außen.

Erstaunlicherweise trafen sich beide, als Hundsgiftgewächse sehr nahe verwandten, Blüten an einem Ort, an dem ich sie kaum vermutet hätte: im surrealistischen Bild „The Magic Flower Game“ von Dorothea Tanning aus dem Jahr 1941 im Peggy-Guggenheim-Museum.

Welch ein Bild!
Im Zentrum eines von grauen Mauern geformten Raumes steht ein traurig-weltenentfernt blickendes Mädchen, wohl an der Grenze der Pubertät, die sich gerade in ein Blütenwesen aus Rosen, Seerosen, Vergissmeinnicht… Oleander und Venezianischem Hundsgift (!) zu verwandeln scheint. Die Haut von Unterleib und Beinen verfärbt sich gerade rot, wohl auch als Hinweis auf die beginnende Adoleszenz, eine Symbolik wie sie auch im bekannten Märchen vom Rotkäppchen enthalten ist. In der Hand hält das Mädchen einen Faden, den sie zu einem Knäuel aufwickelt, und der einer am Boden liegenden Vanilleblüte entspringt. Die Vanille, die als kostbares Gewürz im betörenden Geruch eine deutliche Ähnlichkeit mit menschlichen Sexualpheromonen hat, hat damit immer einen deutlichen erotischen Bezug, steht aber auch für die Sehnsucht nach vergangenen Zeiten. Nach Kinderzeiten, in denen nicht nur die besten Weihnachtsplätzchen, sondern auch Muttermilch und die Fontanelle nach Vanille dufteten. Es ist der Lebensfaden, der sich hier entspinnt.

Bislang ist das Mädchen offenbar in einem geschützten Raum aufgewachsen, in der Art eines Hortus Conclusis in dem die jungfräuliche Muttergottes verweilt. Außerhalb des Gartens herrscht Winter, Schnee bedeckt die Blüten auf den Mauerhöhen – dennoch wird das Mädchen diesen geschützten Raum bald verlassen, so wie auch die Gestalt im Bildhintergrund. Bereits vollständig verwandelt mit Blütenoberteil und rotem Unterleib schickt sie sich an, von einem Kaminsims aus über die Mauer zu klettern. Ein Aufbruch ins Ungewisse, doch beschützt von höheren Mächten. Von der schwarzen Katze im Kamin etwa als traditioneller Schutzzauber.

Vor allem aber durch die mystische Kraft der Blüten von Oleander und Venezianischem Hundsgift, den beiden großen, alten Heil- und Zauberpflanzen.

 

In die Wunderwelt Venedigs einzutauchen ist jedesmal auf ein Neues faszinierend, immer wieder eröffnet sich eine neue Facette der Lagunenstadt. Diesmal war es der Zauber der venezianischen Blüten, der sich zwischen Meer und Palazzi entsponnen hat: Venezianisches Hundsgift und Oleander scheinen dabei die Rahmenhandlung der surrealen Kunst im Peggy-Guggenheim-Museum zu bilden.

So klar sich Venedig als steingewordene, weltliche Kaufmannsmacht (in seiner Vergangenheit, wie auch heute durch das Tourismusgeschäft) zeigt, hat es doch auch eine starke spirituelle, mystische Seite. Verborgen, nicht auf den ersten Blick sichtbar – aber für offene Augen und wache Antennen zu finden. Ein besonderer Zauber, der nicht immer und in Gänze offensichtlich ist, sondern sich erst nach und nach facettenweise entblättert. So wie Venedig auf den ersten Blick nur Mauern, Stein und Meer zu sein scheint – und doch berühmt ist für seine verborgenen Gärten.

Eine für mich ganz neue botanische Entdeckung war für mich in diesem Jahr das Venezianische Hundsgift (Apocynum venetum), scheinbar eine ganz zarte Küstenpflanze, die im Frühsommer die Dünenabschnitte der Venezianischen Inseln von Torcello über La Certosa bis nach Pellestrina dominiert. Doch der erste Eindruck der feinen, zartrosa Blüten täuscht: Das Venezianische Hundsgift ist starr und zäh im Wuchs, und dabei zudem tödlich giftig. Von den Ärzten der Antike wurde es (mit Bedacht!) als hochwirksames Heilmittel bei Wassersucht und Bluthochdruck eingesetzt, eine inzwischen vielfach belegte Heilwirkung (u.a. Lau et al., 2012). Wesentlich bedeutsamer war einst aber seine Verwendung als Faserpflanze, wofür die zähen, rötlich überlaufenen Stängel im Herbst gesammelt werden. Verarbeitet ergibt das Venezianische Hundsgift ein einzigartiges Gewebe von herausragender Weichheit und Formbarkeit mit dem Glanz von Seide. Völlig ungiftig, natürlich, aber heute fast vergessen. Ganz neu entdeckt wurde dagegen die stark angstlösende und antidepressive Wirkung der Pflanze (Wu et al., 2018) in pharmakologischer Zubereitung.

Nicht neu, aber in diesem Jahr besonders auffallend zeigte sich der im Stadtbild Venedigs omnipräsente Oleander. Leuchtend scharlachrot, mit faszinierenden Spiralblüten, die wirken als würden sie jederzeit beginnen sich zu drehen.  Die Spirale erscheint hier als Sinnbild des Lebens und der Sonne in dieser auch wieder hochgiftigen wie ebenso hochwirksamen Herz-Heilpflanze. In der Antike stand der Oleander oft am Rande geweihter Gewässer, und damals wie heute galt er als florales Schutzelement gegen die Dunkelheit und vor allem in der jungen Erwachsenenzeit zum Schutz gegen alle Anfeindungen von außen.

Erstaunlicherweise trafen sich beide, als Hundsgiftgewächse sehr nahe verwandten, Blüten an einem Ort, an dem ich sie kaum vermutet hätte: im surrealistischen Bild „The Magic Flower Game“ von Dorothea Tanning aus dem Jahr 1941 im Peggy-Guggenheim-Museum.

Welch ein Bild!
Im Zentrum eines von grauen Mauern geformten Raumes steht ein traurig-weltenentfernt blickendes Mädchen, wohl an der Grenze der Pubertät, die sich gerade in ein Blütenwesen aus Rosen, Seerosen, Vergissmeinnicht… Oleander und Venezianischem Hundsgift (!) zu verwandeln scheint. Die Haut von Unterleib und Beinen verfärbt sich gerade rot, wohl auch als Hinweis auf die beginnende Adoleszenz, eine Symbolik wie sie auch im bekannten Märchen vom Rotkäppchen enthalten ist. In der Hand hält das Mädchen einen Faden, den sie zu einem Knäuel aufwickelt, und der einer am Boden liegenden Vanilleblüte entspringt. Die Vanille, die als kostbares Gewürz im betörenden Geruch eine deutliche Ähnlichkeit mit menschlichen Sexualpheromonen hat, hat damit immer einen deutlichen erotischen Bezug, steht aber auch für die Sehnsucht nach vergangenen Zeiten. Nach Kinderzeiten, in denen nicht nur die besten Weihnachtsplätzchen, sondern auch Muttermilch und die Fontanelle nach Vanille dufteten. Es ist der Lebensfaden, der sich hier entspinnt.

Bislang ist das Mädchen offenbar in einem geschützten Raum aufgewachsen, in der Art eines Hortus Conclusis in dem die jungfräuliche Muttergottes verweilt. Außerhalb des Gartens herrscht Winter, Schnee bedeckt die Blüten auf den Mauerhöhen – dennoch wird das Mädchen diesen geschützten Raum bald verlassen, so wie auch die Gestalt im Bildhintergrund. Bereits vollständig verwandelt mit Blütenoberteil und rotem Unterleib schickt sie sich an, von einem Kaminsims aus über die Mauer zu klettern. Ein Aufbruch ins Ungewisse, doch beschützt von höheren Mächten. Von der schwarzen Katze im Kamin etwa als traditioneller Schutzzauber.

Vor allem aber durch die mystische Kraft der Blüten von Oleander und Venezianischem Hundsgift, den beiden großen, alten Heil- und Zauberpflanzen.